Köln -
Massentierhaltung, Tönnies-Skandal – Gründe, den eigenen Fleischkonsum zu überdenken, gibt es zuhauf. Trotzdem wird weiter billiges Fleisch gegessen. Wir haben die Sozialpsychologin Dr. Simone Dohle von der Uni Köln gefragt, warum vielen Menschen der Verzicht auf Fleisch so schwer fällt, wo der Verstand doch eigentlich dagegen sein müsste.
Wenn Fleischkonsum auch mit Gewohnheit zu tun hat, wie lange braucht es denn nun, bis ich mich an eine neue fleischlose Routine gewöhnt habe?
Dohle: Unsere Ernährungsgewohnheiten haben sich in der Regel sehr stark eingeprägt. Deswegen dauert es auch entsprechend lange, sie zu ändern. Ein halbes Jahr muss man da mindestens einplanen, wenn nicht gar länger. Eben, weil es immer wieder Momente geben wird, in denen man in alte Routinen zurückfällt. Bei einer nachhaltig gewünschten Veränderung können deshalb Zwischenschritte nützlich sein: Im Bezug auf Fleisch also beispielsweise erst einmal die Mengen verringern und darauf achten, woher das Fleisch kommt. Ich kenne zum Beispiel sehr viele, die sagen: „Ich achte darauf, mein Fleisch beim Metzger zu kaufen“. Allerdings kann ja auch das Fleisch vom Metzger aus Massentierhaltung stammen.
Sie haben von emotional positiver Verknüpfung mit Fleisch gesprochen – kann ich meinen Kopf womöglich austricksen, damit er stattdessen andere Lebensmittel positiv verknüpft und Fleisch negativ?
Dohle: Fakt ist: Auf diese Belohnungseffekte durch Lebensmittel kann man nur schwer verzichten. Für einige könnte es deshalb eine Hilfe sein, Fleischersatzprodukte auszuprobieren, die sich geschmacklich oft gar nicht so stark von richtigem Fleisch unterscheiden. Das Angebot dort ist inzwischen ja riesig. Und dadurch muss man zum Beispiel auch nicht mehr auf Grillen verzichten – das kommt aber natürlich ganz auf die persönlichen Präferenzen an.
Sie sagen, Fleischverzicht sei keine Alles- oder -Nichts-Entscheidung. Was meinen Sie damit genau?
Dohle: Dafür muss man sich erstmal bewusst machen: Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt maximal 300 bis 600 Gramm Fleisch pro Woche. Durchschnittlich wird aber meist doppelt so viel verzehrt. Vielleicht kann man also erstmal mit einer Bestandsaufnahme anfangen: Wie viel Fleisch esse ich überhaupt – angefangen beim Wurstbrot zum Abendessen bis zum Sonntagsbraten. Dann kann man überlegen: In welcher Situation kann ich mir vorstellen, auf etwas davon zu verzichten?
Und wenn ich nicht darauf verzichten kann: Ist es dann nicht auch eine Frage der Gastfreundschaft, zum gemeinsamen Grillen auch Biofleisch anzubieten? Nachhaltig und achtsam im eigenen Fleischkonsum zu denken, kann auch schon ein Anfang sein. Oder mit der Familie einen gemeinsamen Mittelweg zu finden, wenn ein Teil fleischlos leben, ein anderer aber partout nicht auf Fleisch verzichten möchte.
Für Tiere und Umweltbilanz wäre eine Nichts-Entscheidung doch wahrscheinlich schon die bessere, oder?
Dohle: Es ist jedenfalls keinem geholfen, wenn man mit erhobenen Zeigefinger eine Verhaltensänderung erzwingen will. Auch ein bewusster Umgang mit Fleisch kann schon im Sinne des Tierwohls sein. Je vorwurfsvoller man solche Diskussionen führt, desto schneller verschließt man sich und wird als Fleischesser reaktant. Auch wenn aus ethischer und auch umwelttechnischer Sicht natürlich sehr viel für Fleischverzicht spricht, ist es aus meiner Sicht wichtig, im Gespräch zu bleiben und nicht zu polarisieren.
July 23, 2020 at 04:43PM
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Trotz Tönnies-Skandal: Warum es vielen so schwer fällt, kein Fleisch zu essen - Kölnische Rundschau
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